Binnenthal/Im Feld, Di.16. Juli 1793
Mein lieber Freund, Unsere Reise von London ins Wallisser-Land
war sehr sehr aufregend! Aber verdammt anstrengend e.t.c. e.t.c. Zuerst
auf dem Seeweg nach Genova, entkamen wir knapp einer Kenterung unseres
Schiffchens - die Wellen krachten an unsere Felukke, und schäumten uns
ein. Sophias Augen waren weit aufgerissen, suppentellergross, und
voller Angst, wie in einem heroischen Oelgemälde. Unsere Felukke war
meeresfest - Gott sey gedankt! Und so konnten wir unsere Reise ohne
nennenswerte Schäden fortsetzen. Den Landweg von Genova Richtung Alpen
mussten wir mit einem muckend Maultier begehen, das wir von einem
bärbeissig viereckenschädeligen krieklig Mann mit einer schmutzigen
Augenbinde am linken Auge übernahmen, der uns sogleich anschnauzte ob
wir Wacholderbranntwein hätten. Unser beschwerlicher Weg führte stracks
über die Sumpfgebiete nach Domo d'Ossola, die Berge rückten näher,
durch das geschliffene Sehrohr forschend schaut' ich, um auf der
fleck'gen Kugel neues Land mit Strömen und Gebirgen zu entdecken.
Sophia und ich wechselten uns sitzend auf dem Maultier ab, und wenn ich
auf dem Maultierrücken sass, versuchte ich mein Haar mit Puder zu
frisieren, so gut ich konnte. Im Angebirge an unzähligen Krümmungen des
Weges, und felsumsteilt sahen wir die mannigfaltigsten Ansichten der
Gebürge. Ich schnuffle mit Neugierde in der Wallisser-Karte von Gabriel Walser, der Abstieg vom "Pass auf Mayland" ist ein gepflasterter Saumpfad, der sehr hilfreich war. Darnach ein rauschend Bach vom Gletscher des Ofi Horn,
der schwürig und mit grosser Müh mit unserem muckend Maultier zu
bezwingen war. Sophia mit ihrem pfirsichblutfarbenen Flügelhäubchen
musste ich mit unserem letzten Proviant einem winzigen kleinen Stück
Schiffbrot aufquäkeln. Wir begegneten noch Alpendörfern, gelbschnäbelig
riefen uns die Kinder: Mülti - Mülti - Mülti, di Goggwäärgini hülfent!
dazu vollführten sie einen Firlefanz --- Schon hier entfaltet sich das Binnenthal
zu unseren Füssen. Sophias Leiden wurde überstrahlt von einem
mildiglich warmen trockenen Wind, der unsere Erschöpfung verscheuchte
und uns aufblühen liess. Wir waren erquickt als die Nacht mit ihrer
tiefdunklen Bläue uns empfing, und der Mond wie eine gigantische Scheibe im milden Glanz mitten im abgelegenen Thal sein Licht uns schenkte. Wir konnten in Im Feld
bei urständigen und gastfreundlichen Bäuerinnen seyn. Der Engländer
isset Roastbeef, Plumpudding, trinket Oporto, Claret. Die Binner essen
ihren Bratchäs, den sie am Feuer erhitzen, Bindenfleisch, und trinken
ihren gewürzten Branntwein! Die Wände waren mit Crucifixen und voll
mit grauslich geschnitzten Gesichtshüllen. Die ungewohnten Töne der
Binner Mundart faszinierten mich und ich dachte, kein Wunder, dass hier
so eine Vielfalt an Spuk lebt. Schliesslich wurden wir von einer
Bäuerin am Spinnrad mit der Pfeife im Munde darauf eindringlich
hingewiesen, dass es beim Lengenbach Stollen ab und zu zu schauerlichen Seelentänzen und Geistertreffen komme.
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